Gastbeitrag von Dannica Fleuß und Benedikt KriegesmannPodiumsdiskussion: "Departments statt Lehrstühle" im November 2019
24. Januar 2020

Foto: HRA
Am 21. November 2019 initiierte der Postdoc-Rat der Hamburg Research Academy eine Podiumsdiskussion zu den strukturellen Rahmenbedingungen des deutschen Hochschulsystems. Der folgende Artikel ist ein Gastbeitrag von Dr. Dannica Fleuß und Jun.-Prof. Benedikt Kriegesmann, Sprecherin und Sprecher des Postdoc-Rats.
Ausgangspunkt: (Mangelnde) Perspektiven des wissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland
Als Postdoc-Vertreter im Rat der Hamburg Research Academy sind wir Fürsprecher wie Ansprechpartner für die Anliegen von Hamburger NachwuchswissenschaftlerInnen. In dieser Funktion sehen wir uns häufig mit Anliegen und Problembeschreibungen konfrontiert, die sowohl die Beschäftigungssituation als auch die Karriereperspektiven von Postdoktoranden im deutschen Wissenschaftssystem betreffen: Wie gehen wir mit Ungewissheiten bezüglich unserer Karriere- und Lebensplanung, inklusive der häufig wechselnden Tätigkeitsorte, um? Sind Familien und wissenschaftliche Laufbahn an unserem Institut, in unserem Fach, im derzeitigen System vereinbar? Inwiefern sehen wir Prinzipien der Chancengerechtigkeit im deutschen Kontext gewahrt bzw. verletzt?

Die prekäre Beschäftigungssituation des akademischen Mittelbaus wie die Besonderheiten des deutschen Lehrstuhlsystems sind zunehmend Gegenstand der öffentlichen Debatte – wie auch die jüngsten Reaktionen auf die Bayreuther Erklärung (2019) der UniversitätskanzlerInnen eindrucksvoll demonstrierten (exemplarisch: Rosefeldt 2019). Das deutsche Lehrstuhlsystem geht für nicht-professorale WissenschaftlerInnen häufig mit befristeten Arbeitsverträgen, einem ausgeprägten Abhängigkeitsverhältnis vom Lehrstuhlinhaber und einer mangelnden Planbarkeit der Karriere einher. Diese Rahmenbedingungen schrecken manchen von einer akademischen Laufbahn ab. Vor diesem Hintergrund werden vielerorts Strukturreformen gefordert. Ein Lösungsvorschlag, der maßgeblich von Vertretern der Jungen Akademie ausgearbeitet wurde, ist die Ablösung von Lehrstühlen durch Department-Strukturen. Dieser Vorschlag sieht vor, bestehende befristete Mittelbaustellen in Professuren bzw. Tenure Track-Stellen umzuwandeln.

Vor dem Hintergrund der auch im Hamburger Kontext aufscheinenden Problemkonstellationen haben wir im Rahmen der Podiumsdiskussion mit dem Titel „Departments statt Lehrstühle – Freiheit für den akademischen Mittelbau?“ die folgenden Fragen adressiert: Ist der Reformvorschlag, der eine Überführung des Lehrstuhlsystems in Department-Strukturen nach angelsächsischem Vorbild anstrebt, der große Wurf, der eine Vielzahl von Problemen gleichzeitig löst? Oder schafft diese Struktur mehr neue Probleme als sie löst? Wer müsste eine solche Transformation anstoßen und ggf. implementieren? Und wo bestehen konzeptionelle wie praktisch-politische Herausforderung der Implementation eines Department-Systems?
Als DiskutantInnen für die Podiumsdiskussion in den Räumen der Hamburg Research Academy konnten wir René Gögge (B90 Die Grünen), Dr. Christoph Harig (Helmut-Schmidt-Universität Hamburg), Prof. Jule Specht (HU Berlin, Junge Akademie) und Prof. Arndt Wonka (Universität Bremen) gewinnen. Die Eckpunkte unserer Debatte haben wir hier noch einmal zusammengestellt.
Die Forderung nach Strukturreformen im (hochschul-)politischen Kontext
Das Wissenschaftssystem ist stark gewachsen. Dies resultiert auch und vor allem aus der politischen Entscheidung, die Studierendenzahlen bzw. die Zahlen der Hochschulabsolventen zu steigern (Anstieg der Studierendenzahlen in den letzten 10 Jahren um 42%, s. Statistisches Bundesamt, 2018). Ein Blick auf die Entwicklung der Personalstruktur im deutschen Wissenschaftssystem zeigt, dass sich dies vor allem auf die Schaffung befristeter Beschäftigungsverhältnisse ausgewirkt hat: Während die Gesamtzahl der Stellen von hauptberuflich wissenschaftlich bzw. künstlerisch Beschäftigten an deutschen Hochschulen abzüglich der ProfessorInnen zwischen 2000 und 2014 um 60% gestiegen ist, ist die Anzahl von Professorenpositionen lediglich um 21% gewachsen. Dies bedeutet, dass der Anteil unbefristeter – also meist professoraler – Beschäftigter in diesem Zeitraum stetig gesunken ist (von 24% im Jahr 2000 auf 19% im Jahr 2014) (s. Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs, 2017, S. 100). Im Durchschnitt sind WissenschaftlerInnen bei der Berufung auf eine Professur 42 Jahre alt (s. Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs, S. 59). Dies bedeutet, dass WissenschaftlerInnen im (statistisch gesehen: wahrscheinlichen) Falle des Ausbleibens einer Berufung altersbedingt häufig kaum noch andere Karrierewege offenstehen.
Arndt Wonka betont vor diesem Hintergrund, dass es sich daher bei der lauterwerdenden Forderung nach einer Strukturreform – konkret: bei der Forderung nach Departmentstrukturen anstelle des etablierten Lehrstuhlsystems – um eine Reaktion auf die Entwicklung des bundesdeutschen Wissenschaftssystems in den vergangen Jahren bzw. Jahrzehnten handele: Einerseits verschlechtert sich das zahlenmäßige Verhältnis von befristet Beschäftigten und unbefristeten Positionen, die eine Langfristperspektive bieten können. Andererseits spiegelt der artikulierte Reformbedarf auch ein Resultat der zunehmenden Finanzierung von Positionen in Lehre und Forschung über befristete Drittmittel wider.

Departments als Alternative: Entfristungs- und Strukturfrage gehören zusammen
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen forderte der Wissenschaftsrat 2014 eine „grundsätzliche Neuerung der Personalstrukturen und Karrierewege an Universitäten in Deutschland“ (Wissenschaftsrat, 2014, S. 18). Tobias Rosefeldt fasste in der FAZ zusammen: „Die beste Förderung des akademischen Nachwuchses in Deutschland bestünde in der Abschaffung des Mittelbaus.“ (FAZ, 12.02.2915) Gemeint ist mit dieser pointierten Formel, dass eine Strukturreform erforderlich sei, die auch von der Jungen Akademie vorgeschlagen wurde: Sie sieht eine Umwandlung von befristeten Mittelbaustellen in Tenure Track-Professuren vor (im Rechenbeispiel der Jungen Akademie kostenneutral bei einer Umwandlung im Verhältnis von ca. 3 zu 1). DoktorandInnen werden im Konzeptpapier aus dem Jahr 2017 über Drittmittel finanziert (Specht et al., 2017, S. 3-4; 12).
Jule Specht, eine der Autorinnen des Papiers, positioniert sich auch in der Hamburger Podiumsdiskussion gegen Vorschläge, die eine Entfristung des Mittelbaus, aber keine grundsätzliche Reform des Lehrstuhlsystems anstreben und betont: „Man kann die Entfristungs- und die Strukturfrage nicht trennen“. Qualifizierte Forscherinnen und Lehrende zu entfristen, sie aber in einer hierarchisch klar von professoralen Forschenden und Lehrenden differenzierten Position zu belassen, mache keinen Sinn. Vielmehr spiegele sich in derartigen Vorschlägen eine Denkweise wieder, die sowohl der Logik von kollaborativer Forschung als auch der intrinsischen Motivation der jüngeren WissenschaftlerInnen-Generation widerspreche: „Wir müssen generell aus dem Denken heraus, in dem wir Wertschätzung [für Personen] darin ausdrücken, dass wir ihnen Menschen zuweisen, über die sie bestimmen dürfen.“
Arndt Wonka betont unter Bezugnahme auf seine Erfahrungen im Reformprozess am Bremer Institut für Politikwissenschaft zudem, dass der deutsche Hochschullehrerstatus eine funktionale Kategorie sei: Zahlreiche Gremienaufgaben, Betreuungsleistungen und gestaltende Funktionen sind an den rechtlichen Status des Hochschullehrers geknüpft. Eine Umwandlung bestehender Strukturen in Departments habe damit den Vorteil, dass Aufgaben in Lehre und Verwaltung deutlich breiter verteilt werden können als bislang.

Doktoranden, Stipendien, Drittmittel – welche Parameter sind flexibel ausgestaltbar?
Doktoranden ausschließlich über Drittmittel bzw. Stipendien zu finanzieren bringt aus Perspektive des wissenschaftlichen Nachwuchses durchaus Nachteile. Zwar bietet ein Stipendium, wie Christoph Harig auf Basis der Erfahrungen seiner Promotionsphase am King’s College in London berichtet, Doktorandinnen die Freiheit sich ausschließlich auf die eigene Forschung zu konzentrieren. Zugleich sind Absicherungen im Krankheitsfall oder bspw. im Falle einer Elternschaft, wie Jule Specht betont, hier meist nicht vorgesehen. Auch sind die Chancen für eine Drittmittel-basierte Förderung von Promotionsprojekten nicht über alle Fächergruppen gleich verteilt. Hier gibt es jedoch im diskutierten Department-Modell einige Flexibilität – Promovierende könnten weiterhin über speziell für sie eingerichtete Stellen und institutseigene Stipendien finanziert werden. Die Ausgestaltung dieser Parameter können allerdings, wie im Laufe der Diskussion deutlich wurde, eine kostenneutrale Umsetzung des Reformvorschlages gefährden. Vor diesem Hintergrund haben wir die Zielvorstellung „Kostenneutralität“ einer kritischen Prüfung unterzogen. René Gögge betonte den Begründungsbedarf der Forderung nach „mehr Geld“ gegenüber anderen landespolitischen Ressorts. Hervorgehoben wurde von Seiten der DiskutantInnen im Folgenden vor allem, dass die Kosten pro Student bzw. Absolvent im Laufe der letzten zehn Jahre gesunken sind – und dass sich eine Wissensgesellschaft eine qualitativ hochwertige Ausbildung „etwas kosten lassen darf“ (Jule Specht). Dauerhaft und mit solider Perspektive beschäftigte Lehrende können deutlich besser in eine qualitativ hochwertige Ausbildung ihrer Studierenden investieren. Zudem bedeutete, so Arndt Wonka, eine vergrößerte Anzahl von eigenständigen ProfessorInnen auch eine größere Anzahl von potentiellen AntragstellerInnen in inner- und inter-universitären Kooperationsprojekten (z.B. in Verbundprojekten) – und sei damit sowohl im Interesse einer Universitäts- bzw. Institutsleitung als auch der (Landes-)Politik.
Handlungsoptionen und Implementationen: „Nicht Reden, in Räte gehen!“
Die Implementation von Department-Strukturen kann sowohl lokal (wie im Bremer Beispiel) als auch über universitätsweite Gremien und Richtlinien (derzeit an der HU Berlin) angestoßen werden. Hervorzuheben ist hierbei, auch in der Argumentation gegenüber Universitätsleitungen, dass die Diskussion über strukturelle Reformen und prekäre Beschäftigungsverhältnisse an deutschen Universitäten nicht lediglich eine sozialpolitische Frage betrifft – sie berührt auch die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Wissenschaftssystems und seine Attraktivität für nationale und internationale SpitzenforscherInnen.
Für alle grassroot-Bewegungen und Reformbemühte gilt Arndt Wonkas Erfahrung gemäß vor allem „Nicht Reden, sondern in Räte gehen!“. Diskussionen auf informeller Ebene können zwar die Bereitschaft und Motivation einzelner Akteure beeinflussen – Strukturreformen können jedoch nur zuverlässig angestoßen werden, wenn der Weg über formelle universitäre Gremien und Verfahren eingeschlagen wird. Um derartige Reformprozesse weniger abhängig von den Strukturen und Machtverhältnissen an einzelnen Instituten zu machen, bedarf es zudem Anreizstrukturen von Seiten der Landespolitik – und ggf. die Bereitschaft zur Investition in eine wettbewerbsfähige und für Forschende, Lehrende sowie Studierende attraktive und lebenswerte deutsche Hochschullandschaft.
Gut zu wissen
Im März 2020 werden die Sprecherinnen und Sprecher des Postdoc-Rats erneut gewählt. Interessierte Postdocs sind herzlich eingeladen, sich in die Sitzung einzubringen - als Teilnehmende oder Kandidierende. Weitere Informationen folgen in Kürze.