Für eine bessere Arbeitskultur in der WissenschaftMacht der Wissenschaft versus normativer Einfluss von Fördermittelgebern
27. November 2019
Foto: HRA/Peisler
Die Etablierung von fairen, produktiven und gesunden Arbeitsbedingungen ist eine der großen aktuellen Herausforderungen im Wissenschaftsbetrieb. Promovierende und Postdocs leiden durch ihre Stellung im System und ihre durch Abhängigkeit geprägten Anstellungsverhältnisse oft unter schwierigen Arbeitsbedingungen. Förderorganisationen wie die VolkswagenStiftung oder der britische Wellcome Trust haben großen Einfluss auf das Wissenschaftssystem. Können Fördermittelgeber ihre monetäre Macht stärker nutzen, um neben der Förderung guter wissenschaftlicher Praxis auch flächendeckend eine faire Arbeitskultur zu etablieren? Welche Maßnahmen stehen ihnen dabei zur Verfügung?
Am 27. November diskutierten im zweiten HRA Salon Dr. Anne-Marie Coriat (britischer Wellcome Trust), Dr. Rainer Lange (Wissenschaftsrat), Dr. Cora Schaffert-Ziegenbalg (VolkswagenStiftung) und Prof. Dr. Gesa Ziemer (HafenCity Universität Hamburg) gemeinsam mit dem Publikum über den Schwerpunkt des Abends „Macht & Forschungsförderung“. Das Gespräch wurde von dem Wissenschaftsjournalisten Ralf Krauter moderiert. Die Aufzeichnung des Gesprächs (in englischer Sprache) steht Ihnen auf dieser Seite zum Download bereit.
“How do we help people to do the right thing?”1
Der Wellcome Trust ist mit einem Vermögen von 25,9 Milliarden Pfund die zweitgrößte Stiftung der Welt und größter privater Fördermittelgeber in Großbritannien. Im Mai 2018 führte die Stiftung einen neuen Verhaltenscodex zu guter Führung in der Wissenschaft ein, um Mobbing und sexuelle Belästigungen zu bekämpfen. Verstöße gegen den Codex werden durch Rückforderungen von Geldern und den Ausschluss der verantwortlichen Personen und Institutionen von zukünftigen Förderungen sanktioniert. Im HRA Salon berichtet Dr. Anne-Marie Coriat von den eingeführten Monitoring-Maßnahmen: u.a. jährliche Befragungen aller geförderten Personen und Institutionen sowie vor-Ort-Gespräche bei Verdachtsfällen. Der Verhaltenskodex ist Teil des größeren Programms „Reimaging Research“, das eine neue Arbeitskultur vorantreiben soll. Grundlegendendes Ziel sei, Exzellenz in der Forschung nicht über quantifizierbare Faktoren wie beispielsweise Publikationslisten, sondern auch über soziales Verhalten zu definieren. Ein wesentlicher Teil sei dabei die angestrebte Verbesserung von Führungsverhalten in Betreuungssituationen. Hierfür arbeite der Wellcome Trust eng mit Professorinnen und Professoren, Graduierteneinrichtungen sowie mit Betreuenden und Promovierenden zusammen. Den Schlüssel zum nachhaltigen Erfolg des Projekts sieht Coriat in der wissenschaftlichen Fundiertheit der eigenen Arbeit: Das Programm werde von qualitativen und quantitativen Studien begleitet.
Was tun deutsche Fördermittelgeber, um die Arbeitsbedingungen für Forschende zu verbessern und sie vor Machtmissbrauch zu schützen? Die VolkswagenStiftung , so Dr. Cora Schaffert-Ziegenbald, fordere ein überzeugendes Konzept für die Promotionsbetreuung von allen Antragstellenden. Die Stiftung – die größte private wissenschaftsfördernde Stiftung in Deutschland – begleite darüber hinaus ihre unterstützten Projekte mit einem engen Monitoring und schreite aktiv bei Konflikten ein. Der Dialog zwischen allen Beteiligten stehe dabei im Vordergrund. Das größte Problem sei allerdings – und hier sind sich alle Podiumsgäste einig – überhaupt von Konfliktfällen zu erfahren. Bisher gab es in der VolkswagenStiftung noch keinen Fall, in dem Fördermittel aufgrund von Machtmissbrauch von einer Institution oder Person zurückgefordert wurden. Gerade bei Mobbing oder Belästigung müssten die Voraussetzungen für eine Meldung von Problemen ohne negative Konsequenzen für die eigene Karriere geschaffen werden. Im kommenden Jahr wolle die VolkswagenStiftung daher ebenfalls einen Verhaltenskodex erarbeiten, so Schaffert-Ziegenbalg.
Probleme im System
„In unserem Wissenschaftssystem gibt es viele Abhängigkeitsverhältnisse. Es ist ein sehr altes, sehr traditionelles, sehr langsames System,“ stellt die Vizepräsidentin für Forschung an der Hafencity Universität Hamburg Prof. Dr. Gesa Ziemer fest. Starke Abhängigkeiten beispielsweise durch die fehlende Trennung zwischen Betreuung und Begutachtung der Doktorarbeiten würden die Möglichkeit des Missbrauches von Macht begünstigen. Diese typisch deutsche Doppelfunktion müsse endlich abgeschafft werden. Aus Sicht der Hochschulleitung fehlten überdies rechtliche Instrumente, um Maßnahmen umzusetzen. An der HafenCity Universität wurden zum Beispiel Betreuungsvereinbarungen für die Promotion verpflichtend eingeführt. Allerdings fehlen Rahmenbedingungen, die Parteien zur Zeichnung dieser Vereinbarungen zu verpflichten. Hier sei die Politik am Zug.
Aus dem Publikum meldet sich Helga Nolte zu Wort, die in ihrer Rolle als Leiterin der Ombudsstelle an der Universität Hamburg sowie als freie Trainerin für gute wissenschaftliche Praxis bisher in rund 500 Fälle von wissenschaftlichen Fehlverhalten involviert war. Wenn jemand seine/ihre Rolle als Betreuer/Betreuerin ausnutzt, müsse dies eindeutig als wissenschaftliches Fehlverhalten gewertet und genauso streng verfolgt werden wie etwa Verstöße in Sachen Autorschaft. Sie fordert daher klare Richtlinien für die Promotionsbetreuung.
Wissenschaftliche Exzellenz wird in der Regel in zählbaren Erfolgen wie etwa der Anzahl der Publikationen gemessen. Die Beurteilungsverfahren des Wissenschaftsrats vernachlässigten Dr. Rainer Lange zufolge aktuell noch immer wichtige Faktoren wie Führungsfähigkeit. Neben persönlichen Kompetenzen müsse in Zukunft ebenfalls das Verhalten der Institutionen als Arbeitgeber stärker in den Fokus rücken. Der Wissenschaftsrat suche Wege, um diese Entwicklungen voranzutreiben.
„Who are you to tell us what to do?“1
Müssten die Förderorganisationen nicht noch viel mehr unternehmen? Oder sollten sie sich auf die finanzielle Unterstützung beschränken und Bereiche wie Führung und Zusammenarbeit den geförderten Institutionen überlassen? Fragen nach der Macht und der damit verbundenen Verantwortung von Förderorganisationen stehen wiederholt im Mittelpunkt der Diskussion. Zu Recht seien wir Menschen seit der Aufklärung immer etwas skeptisch gegenüber den Mächtigen, so Lange. Er sieht die Hauptverantwortung für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler klar bei den Institutionen. Fördermittelgeber sollten jedoch aktiv werden, wenn der schwächere Teil des Machtverhältnisses leidet.
Helga Nolte wird in ihrer Forderung noch deutlicher: „In Fällen von Machtmissbrauch in der Wissenschaft haben Förderer nicht nur das Recht, sie haben sogar die moralische Verpflichtung, ihre Macht zu nutzen!“ Der Wellcome Trust habe nach langer Diskussion die Position eingenommen, seinen Einfluss auch über die Grenzen der geförderten Projekte hinaus bestmöglich zu nutzen, um das gesamte Wissenschaftssystem zu verbessern.
Auf dem Weg zu einer neuen Arbeitskultur
Die DFG hat in ihren am 01.08.2019 in Kraft getretenen Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis die Themen „Verantwortung der Leitung von Arbeitseinheiten“ und „Berufsethos“ aufgenommen. Bis August 2021 haben alle Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen Zeit, die Leitlinien umzusetzen.
Solange Institutionen allerdings aus rechtlichen Gründen bei der Umsetzung geplanter Maßnahmen eingeschränkt sind, kommt den Förderorganisationen eine bedeutende Rolle zu. Durch ihre Freiheit, über die Leistungskriterien von Forschenden zu entscheiden und die Bedingungen für die Mittelvergabe festzulegen, können sie eine Vorreiterrolle einnehmen und das Wissenschaftssystem normativ beeinflussen.
Im HRA Salon berichteten die Akteure über die aktuellen Entwicklungen auf dem Weg zu einer besseren Arbeitskultur in der Wissenschaft.
Wir danken allen Gästen und dem Publikum für die anregende und offene Diskussion und freuen uns mit dem HRA Salon zur Vernetzung der unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren (Institutionen, Förderorganisationen, Forschenden verschiedener Karrierestufen, Graduierteneinrichtungen, Politik) beitragen und eine Plattform für die aktuellen Diskurse bieten zu können.
Fußnoten 1 + 2: Coriat
Gut zu wissen
- Nutzen Sie Beratungsangebote, z.B. von den Ombudsstellen oder Konfliktstellen an Ihrer Hochschule. In der HRA findet regelmäßig eine vertrauliche Beratung zum Thema gute wissenschaftliche Praxis statt. Information und Anmeldung