Doppelte Abhängigkeitsverhältnisse während der Promotion
„In der Promotionssituation ist man auf mehreren Arten abhängig von der Betreuerin oder dem Betreuer“, stellt gleich zu Beginn des Gesprächs Dr. Leonard Borchert, Postdoc am Max-Planck-Institut für Meteorologie, fest. Professorinnen und Professoren seien in der Regel gleichzeitig Betreuende und Begutachtende im Promotionsprozess – ein spezifisch deutsches Modell. Hinzu kämen häufig finanzielle Abhängigkeiten durch Anstellungsverhältnisse sowie die Macht der Empfehlung. „Betreuende haben nicht nur Macht darüber, ob du heute einen Job hast, sie können auch Macht darüber haben, ob du in Zukunft in diesem Forschungsfeld wieder einen Job bekommst oder nicht.“
Als Stimme aus dem Publikum betont Helga Nolte von der Ombudsstelle der Universität Hamburg, wie Macht auf verschiedenen Hierarchieebenen unterschiedlich wahrgenommen wird. Es sei von den meisten Betreuenden keine intendierte Macht, doch aus Sicht der Promovierenden sei die Abhängigkeit stets präsent und bestimme ihr Verhalten.
Gute Betreuung kann erlernt werden
Prof. Dr. Dr. hc. mult. Katharina Boele-Woelki, Präsidentin der Bucerius Law School, kennt mit dem deutschen und dem niederländischen gleich zwei Betreuungssysteme sehr gut. Gute Betreuung basiere auf gegenseitigem Vertrauen. Trotz vieler positiver Erfahrungen in beiden Wissenschaftssystemen, sieht sie besonders eine Gefahr im „Betreuungskreislauf“: „Es ist bestürzend, dass diejenigen, die unter machtbesessenen Betreuenden gelitten haben, später teilweise das gleiche Betreuungsverhalten an den Tag legen.“ Wie kann dieser Kreislauf durchbrochen und für eine systematische Verbesserung der Betreuungssituation in Deutschland gesorgt werden? Prof. Dr. Brooke A. Gazdag, Leadership-Expertin von der LMU München, gibt Hoffnung: „Gute Führung und Betreuung kann tatsächlich erlernt werden!“
Ideen für eine Verbesserung der Betreuungsverhältnisse
Im Laufe des Abends wurden viele Ideen für eine Verbesserung der Betreuungsverhältnisse und ein Vorbeugen von Machtmissbräuchen gesammelt. Einige Vorschläge aus der Diskussion:
- Klare Betreuungsvereinbarungen einführen
- Schulungen für gute Betreuung durch Anreizsetzung oder Verpflichtung verbreiten, z.B. als fester Bestandteil von Berufungsverfahren
- Trennung von Betreuung und Begutachtung durchsetzen
- Betreuungspanels als Alternative zu Einzelbetreuungen weiter etablieren
- Anzahl der Promovierenden pro Betreuungsperson beschränken
- Kontrollmechanismen für schlechte Betreuung bzw. Führung an Hochschulen unter Berücksichtigung der Wissenschaftsfreiheit schaffen (z.B. Streichung von Promotionsstellen bei wiederholtem Machtmissbrauch)
- Anlaufstellen auch für externe Promovierende öffnen
Tipps für Promovierende
Was können Promovierende tun, um ihre eigene Betreuungssituation aktiv zu verbessern? Einige Empfehlungen aus der Diskussion:
- Informieren Sie sich vor Beginn der Promotion über mögliche Betreuende! Sprechen Sie mit anderen Promovierenden und sehen Sie sich die Online-Auftritte und Veröffentlichungen der jeweiligen Forschungsgruppen an. An der Darstellung des Teams und der Autorenschaft von Papern lassen sich oftmals die internen Machtstrukturen ablesen. Weitere Tipps zur Betreuerwahl bieten z.B. der Hochschulkompass und ZEIT Campus.
- „Führung von unten“: Das Verhältnis zu Betreuenden lässt sich teilweise selbst steuern und positiv beeinflussen. Z.B. durch Absprache der gegenseitigen Erwartungen, klare Kommunikation und gute Vorbereitung der Treffen.
- Fordern Sie eine klare Betreuungsvereinbarung ein, welche die gegenseitigen Erwartungen festhält. Hier finden Sie Empfehlungen der DFG.
- Suchen Sie im Konfliktfall möglichst früh passende Anlaufstellen (z.B. Konfliktberatung, Ombudsstelle, Personalrat, Hamburg Research Academy) auf, um eine Eskalation zu vermeiden.
- Bilden und nutzen Sie Netzwerke! Promovierendennetzwerke informieren z.B. über Standards von Betreuungsverhältnissen und geben den Mitgliedern eine Stimme. In der Hamburg Research Academy gibt es seit März 2019 einen Promovierenden-Rat.
Wie geht es weiter?
Auch die beiden folgenden HRA Salons widmen sich dem Oberthema „Macht & Wissenschaft“. Am 27. November 2019 findet der englischsprachige HRA Salon „Power & Research Funding“ statt. Hier wird die Macht und Verantwortung von Fördermittelgebern beleuchtet. Nähere Informationen folgen in Kürze.
In verschiedenen Projekten beschäftigt sich die Hamburg Research Academy mit dem Thema der Promotionsbetreuung: Sie unterstützt die MIN-Fakultät der Universität Hamburg bei der Einführung von Individual Development Plans (IDP) – einer Methode, um die Kommunikation in Betreuungsverhältnissen zu verbessern und Promovierende in der Entwicklung ihrer Kompetenzen zu unterstützen. Darüber hinaus konzipiert die HRA gerade ein „Train the Trainer“-Programm, um Betreuende zu unterstützen.
Wir bedanken uns herzlich für die rege Teilnahme an der Diskussion und freuen uns auf den nächsten HRA Salon!
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