Interview mit Dr. Ann-Kristin Kolwes
Was hat Ihnen auf dem Weg in die Promotion / in die Wissenschaft geholfen?
Ich habe an der Universität Bielefeld studiert und hatte das große Glück, dort ein tolles Netzwerk aus Kolleginnen und Kollegen, Kommilitoninnen und Kommilitonen sowie Freunde zu haben. Ich war sehr gut in die Fakultätsstrukturen eingebunden und hatte Zugang zu informellem Wissen bzw. konnte jederzeit um Rat fragen. Außerdem gab es Menschen, die an mich und meine Fähigkeiten geglaubt und mich darin bestärkt haben, diesen Weg zu gehen. Wie wichtig und besonders das war, ist mir aber erst klar geworden, als ich an der Universität zu Köln mit meiner Promotion begonnen habe. Hier fehlte mir das auf einmal alles.
War auf diesem Weg die eigene soziale Herkunft ein Thema?
Tatsächlich habe ich erst wirklich mit diesem Wechsel begonnen, über meine soziale Herkunft und ihre Auswirkungen zu reflektieren. Eine Promotion unterscheidet sich schon noch einmal stark vom Studium und zusammen mit meinem Wechsel ergaben sich daraus ganz neue Hürden für mich. In Köln habe ich dann aber auch die Initiative Erste Generation Promotion e. V. kennengelernt und im Austausch mit den anderen angefangen, darüber nachzudenken, wie meine soziale Herkunft meinen bisherigen Bildungsweg beeinflusst hat. Das hat dann für mich Vieles einfacher gemacht, weil ich wusste: Es geht nicht nur mir so!
Wann haben Sie das erste Mal gemerkt, dass es da einen Unterschied gibt? Und gibt es ein persönliches Ereignis, dass Ihnen dabei besonders im Gedächtnis geblieben ist?
Wie beschrieben, war es vor allem der Wechsel von Bielefeld nach Köln und die dortige neue Situation, die mir die Unterschiede deutlich vor Augen geführt hat. Ich habe mich auf eine Art unsicher und nicht passend gefühlt, die ich bis dato nicht kannte. Heute weiß ich, dass es das Gefühl war, zwischen zwei Welten zu stehen und in keine zu 100 Prozent zu passen. Für meine Familie hatte ich einen neuen Status, mit dem sie wenig anfangen konnten und an der Uni hatte ich immer Angst, nicht gut genug zu sein und gleichzeitig Probleme mit dem wissenschaftlichen Habitus. Eine ganz neue Fremdheitserfahrung im zweifachen Sinne, wenn man so möchte.
Ist die soziale Herkunft im Hochschulkontext immer noch relevant? Und wenn ja, warum?
Auf jeden Fall, das zeigt mir meine Arbeit als Projektkoordinatorin des Programms Erste Generation Promotion Mentoring+ jeden Tag. Aber die soziale Herkunft spielt nicht nur in der Promotion eine Rolle, sie wirkt auf jede Karrierestufe im Hochschulsystem, das beweisen die Zahlen – angefangen von der Aufnahme eines Studiums bis zur Besetzung von Professuren. Um das nachhaltig zu verändern, brauchen wir Strategien, die alle Bereiche der Hochschule in den Blick nehmen.
Was könnten Hochschulen in dem Bereich dann anders machen?
Das Wichtigste ist in meinen Augen, dass Hochschulen erkennen müssen, dass sie selbst innerhalb des Systems zu den (Re)Produzentinnen von Bildungsungerechtigkeit gehören. Der nächste Schritt ist dann, diese systematisch zu identifizieren und nach Lösungen zu suchen. Das bedeutet, dass wir bestehende Machtstrukturen hinterfragen und uns vielleicht von Lieb gewonnenem verabschieden müssen. Aber nur so werden wir eine nachhaltige Veränderung erreichen können. Mehr Diversität und Bildungsgerechtigkeit werden sich aber letztlich positiv auf das ganze System auswirken, davon bin ich überzeugt.
Was ist Ihr persönlicher Tipp, wenn ich es mit dem Weg in die Wissenschaft probieren will?
Unser Hochschulsystem wird leider nicht von heute auf morgen plötzlich bildungsgerecht werden. Daher ist es umso wichtiger, an sich selbst zu glauben, durchzuhalten und sich nicht entmutigen zu lassen. Exzellente Leistungen haben nichts mit der sozialen Herkunft zu tun, aber man darf sich nicht der Illusion hingeben, dass allein exzellente Leitungen zu Erfolg im wissenschaftlichen System führen. Der Zugang zu informellem Wissen und Netzwerken ist daher ungemein wichtig. Das sollte nie unterschätzt werden.
Zur Person
Dr. Ann-Kristin Kolwes koordiniert an der Universität zu Köln das Programm Erste Generation Promotion Mentoring+ und ist Vorsitzende des Vereins Erste Generation Promotion. Sie hat Geschichte und Psychologie studiert und in ihrer Dissertation die Lebensumstände der Frauen und Kinder deutscher Kriegsgefangener untersucht. Im Februar hat sie als Expertin am HRA Salon - Macht & Eliten teilgenommen.