Fokus: Wissenschaftskommunikation am 28. AprilStörungen und Dialog erwünscht
18. Mai 2022

Foto: HRA/Sven Wied
Es sprudelte! Die Euphorie über das Thema und den lang ersehnten Austausch in Präsenz waren bei der Veranstaltung Fokus: Wissenschaftskommunikation am 28. April mehr als spürbar. Die rund 50 Teilnehmenden verbrachten den Nachmittag in verschiedenen Formaten und nutzten die Zeit, miteinander ins Gespräch zu kommen – bei bestem Sonnenwetter und mit Elbblick auf der Terrasse der Claussen-Simon-Stiftung. Einige spannende Diskussionspunkte haben wir in diesem Artikel für Sie zusammengefasst.
Die anwesenden Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler erwartete neben Netzwerkgelegenheiten reichlich frischer Input. Den Auftakt machte Prof. Dr. Julika Griem, Vizepräsidentin der DFG und Leiterin des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen (KWI), mit ihrer Keynote. In drei Workshops zu den Themen Wissenschaftsjournalismus, Radio- und Podcast-Beiträge und Storytelling tauchten die Teilnehmenden in die Praxis ein. Diskutiert wurde bei der Fishbowl: Zu den geladenen Gästen Dr. Friederike Hendriks, Dr. Jule Thiemann, Prof. Dr. Regina Back und der Moderatorin Prof. Dr. Stefanie Molthagen-Schnöring nahmen abwechselnd Personen aus dem Publikum am Gespräch teil. Mit einem (tatsächlichen) Knall schloss der Physiker und Science Slammer Dr. Philipp Gadow den Programmteil ab und leitete zum Sektempfang über.
„Lassen Sie uns Formate entwickeln, die Störungen und einen echten Dialog ins Zentrum rücken“
Denken Sie bei Wissenschaftskommunikation direkt an erfolgreiche und professionell produzierte Formate? In denen Forschende auf kunstvolle und eloquente Weise den Weg von der Idee über den langen, harten Weg bis hin zum Durchbruch erzählen? Dieser einseitigen Erzählweise liege oftmals eine Vorstellung von Wissenschaftskommunikation als „Paketlieferservice“ zugrunde, so Julika Griem in ihrer Keynote. In Hochglanzformaten wie den berühmten TED-Talks packe die Senderin ein Paket und möchte, dass es ohne jede Beschädigung genauso beim Empfänger eintrifft. Der Erfolg eines Kommunikationsprojekts werde demnach daran gemessen, ob die „Lieferung“ ohne Störung ankommt. Julika Griem sieht diese Beobachtung kritisch, da nicht die einseitige Performance für das Publikum, sondern vielmehr ein gemeinsamer Dialog das Ziel sein sollte. Sie forderte in ihrer Keynote daher Mut zu alternativen Formaten, die einen offenen Austausch auf Augenhöhe in den Mittelpunkt stellen und eine Störung bewusst zulassen. Gleich zu Beginn der Veranstaltung stand damit ein Plädoyer zur kritischen Reflexion des eigenen Verständnisses und der Wirkung von Wissenschaftskommunikation, was sich durch die Gespräche des restlichen Nachmittags wie ein roter Faden zog.
Karrierebremse Wissenschaftskommunikation?
Welche Auswirkungen haben die Forderungen nach mehr Wissenschaftskommunikation langfristig auf das Wissenschaftssystem und wie betreffen sie den wissenschaftlichen Nachwuchs? Ein Effekt ist, dass Forschende auch unabhängig der strengen Hierarchien im Wissenschaftssystem sichtbar werden und Wissenschaftskommunikation als Sprachrohr für ihre Arbeit nutzen können. Somit haben auch diejenigen, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen, die Möglichkeit durch gelungene Kommunikation Aufmerksamkeit auf ihre Arbeit zu lenken. Tritt man noch einen Schritt zurück und betrachtet, welche Personengruppen aktuell viel und wer kaum in der Wissenschaft kommuniziert, zeichnet sich allerdings – trotz des Vorteils der Sichtbarkeit – auch eine problematische Entwicklung ab. Während sich viele etablierte Professorinnen und Professoren eher zurückhalten, engagieren sich besonders junge Frauen in der Wissenschaftskommunikation. Was auf den ersten Blick höchstens positiv wirkt, kann weitreichende Auswirkungen haben: Wer mehr Zeit für Wissenschaftskommunikation aufwendet, hat weniger Zeit für andere Aufgaben im Forschungsalltag. Das ungleiche Generations- und Geschlechterverhältnis kann sich hierdurch in der Wissenschaft langfristig weiter verstärken. Diese gendersensible Beobachtung von Julika Griem war sehr erhellend, aber was ist die Konsequenz? Sollten arriviertere Wissenschaftler mehr kommunizieren oder Nachwuchswissenschaftlerinnen automatisch weniger? Die einzig sinnvolle Lösung scheint eine echte Anerkennung der Leistungen im Bereich Wissenschaftskommunikation. Engagement in diesem Bereich sollte keinen Nachteil, sondern einen Vorteil für den weiteren Weg in der Wissenschaft darstellen. Dies kann allerdings nur durch eine Reformation der Bewertungskriterien in Vergabeverfahren rund um Berufungen und Fördermittel erreicht werden.
Schwere Dampfer und wendige Boote: Bewertungskriterien ändern
Wissenschaftskommunikation darf kein Nice-to-have bleiben, sondern muss (in vielfältiger Ausgestaltung) Voraussetzung für eine erfolgreiche Karriere in der Wissenschaft werden. Dass dies mit weichen Appellen nicht zu erreichen ist, weiß auch Stefanie Molthagen-Schnöring, die als Moderatorin durch die Veranstaltung führte und Teil der #FactoryWisskomm war. Das Ausmaß der Aufgabe, Bewertungskriterien zu ändern und somit eine Anerkennung von Wissenschaftskommunikation zu erzielen, machte Julika Griem deutlich: Voraussetzungen hierfür wären 1. übergreifende Qualitätskriterien für Wissenschaftskommunikation zu erarbeiten und hierfür 2. ausreichend viele qualifizierte Gutachterinnen und Gutachter zu finden. Beides seien echte Mammutaufgaben. Umso wichtiger sei es, dass flexiblere Fördermittelgeber wie Stiftungen den Druck auf die großen und mitunter langsameren Organisationen stetig erhöhten.
„Wissenschaftskommunikation ist kein Selbstzweck – sie ist Mittel, um etwas zu bewegen“
Aber die Frage bleibt: Wer sollte überhaupt wie über Forschung kommunizieren? Ist Wissenschaftskommunikation ein weiteres Kästchen, das für die Karriere abgehakt werden muss? Ein wichtiges Ergebnis der Veranstaltung ist, Wissenschaftskommunikation viel breiter zu verstehen. Nicht nur die große Bühne oder Social Media sind mögliche Plattformen. Der eigene Weg kann ganz anders aussehen, ob man in einem interdisziplinären Projekt zwischen Fächerkulturen vermittelt oder einen Blogbeitrag schreibt, der sich an Menschen außerhalb der eigenen Disziplin richtet. Darüber hinaus sprachen sich die Gäste der Fishbowl-Diskussion dafür aus, einerseits auf die eigenen Interessen und anderseits auf die Zielsetzung der Aktivitäten zu achten. Gerade Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler müssten ihre begrenzten Kapazitäten sinnvoll einsetzen. Das eigene Ziel – ob Bekanntmachung der Forschung, der Anstoß eines gesellschaftlichen Diskurses oder die Freude an der Kommunikation – sollte bei allen Kommunikationsprojekten klar sein. Um herauszufinden, welches Medium oder welches Projekt zu den eigenen Interessen und Motivationen passen könnte, so betonte Regina Back, seien besonders geschützte Räume wie Workshops oder kollegiale Arbeitsgruppen wichtig.
Ganz in diesem Sinne hoffen wir, dass wir mit der Veranstaltung Fokus: Wissenschaftskommunikation einen solchen Raum für das Ausprobieren, aber auch Hinterfragen und Diskutieren von Wissenschaftskommunikation geschaffen haben. Vielen Dank an alle Teilnehmenden und Gäste für den anregenden Austausch sowie an die Claussen-Simon-Stiftung für die Gastfreundschaft.
Das Projekt Wissenschaftskommunikation
Wie gelingt die Kommunikation über die eigene Forschung? Das WissKomm-Projekt der Hamburg Research Academy will Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler in Hamburg für die Vermittlung ihrer Forschungsarbeit begeistern, sie in der praktischen Anwendung schulen und eine Plattform für die Kommunikation zwischen Wissenschaft und Gesellschaft schaffen.
Ab August 2022 ist ein neuer Förderfonds für WissKomm-Projekte eingerichtet.
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